2008

 

cg_ann_2 cg_ann_1

Ausstellung Das Böse ist ein Eichhörnchen, Landgericht Leipzig 2009

 

In der Installation Annunciation wird in assoziativer Form der Moment rekonstruiert, in dem Alba D’Urbano – unwissend – dem Stasibilderkonvolut begegnete. Außerdem wird die Umnutzung des (beispielhaften) „Coverbildes“ vom Erinnerungsbild zum Kunstwerk thematisiert, in dem sich Alba D’Urbano das von Dora Garcia benutzte „Portrait“ von Tina Bara in Form von Zeichnungen weiter führend aneignet. Diese Portraits wiederum werden Teil einer Installation, die das ehemals private Bild in den Kontext von Archiven stellt, deren Funktion allerdings unklar erscheint. Regalteile und Ordner scheinen aus dem Zusammenhang gerissen. Neben diesen Zeichnungen und einem Text sind die Ordner mit weißen Blättern gefüllt – Projektionsflächen für die Millionen Fotografien, Texte, Daten die als wichtige Informationen über „staatsfeindliche“ Kräfte in das Überwachungssystem eingespeist wurden. Der Text von Alba D’Urbano beschreibt in einer Art poetisch aufgeladenen protokollarischen Analyse ihre erste Begegnung mit den Fotografien in der Galerie für Zeitgenössische Kunst.

 

cg_ann_z1 cg_ann_z2 cg_ann_z3 cg_ann_z4

 

Auszüge aus dem Erinnerungsprotokoll:

Dora Garcia, Bilder einer Ausstellung

 

Exkursionsleiter: Alba D’Urbano, Professorin; Franz Alken, Assistent;

Klasse für Intermedia an der HGB Wächterstr.11, Leipzig

Ort: Galerie für Zeitgenössische Kunst, Karl Tauchnitz Str. 9–11, Leipzig

Teilnehmer und Teilnehmerinnen: Reiko Kammer, Julia Sing, Luise Hennig, Susanne Kaiser, Stefan Hurtig, Carolin Weinert, Lena Brüggemann.

Führung durch die Ausstellung: „ Zimmer, Gespräche“ von Dora Garcia

Kuratorin: Julia Schäfer

 

Protokollantin: Alba D’Urbano

Protokoll, begonnen im Juli 2007 in Leipzig, Überarbeitung, beendet im September 2008, in Fiskars (FIN).

 

Im Rahmen der Klassenaktivitäten, die über die Vorlesungen, die Klassentreffen und Einzelkonsultationen hinaus auch Exkursionen und Ausstellungsbesichtigungen vorsehen, besuchten wir im Sommersemester ’07 die Ausstellung „Zimmer, Gespräche“ von Dora Garcìa in der Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig. Der Besuch dieser Ausstellung diente als Vertiefung der Recherchearbeit zu dem Projekt „Absolut Böse“, ein von mir und Franz Alken geleitetes thematisches Ausstellungsvorhaben, an dem Studierende der HGB klassenübergreifend und interdisziplinär arbeiteten. Die Besichtigung der Ausstellung „Zimmer, Gespräche“ war für uns von Interesse, weil hier einige der im Projekt untersuchten Themenbereiche – wie die Motive der Überwachung, der Kontrolle und der Macht – bezogen auf die jüngste Geschichte des deutschen Staates künstlerisch behandelt wurden.

(...)

Treffpunkt für die Gruppe war der Eingangsbereich des „neuen“ GfZK-Baus, der nicht weit von unserer Hochschule entfernt liegt. (...) Ein Mann und eine Frau, Angestellte der Galerie, saßen an zwei verschiedenen Stellen des oberen Raumteils, der sich plattformartig links der Eingangstür erhöht positioniert. (...) Die Frau schaute oft in unsere Richtung und tippte konzentriert Sätze in ihren Computer.

(...)

Helles, schneidendes Sonnenlicht schien auf die schwer schwebenden Designerregale, während ich meinen Blick von der schreibenden Frau nach außen schweifen ließ. Die Strasse war leer, nur ein 89er Bus fuhr langsam auf der gegenüberliegenden Seite der Galerie an den Bäumen des Johanna-Parks vorbei, ein romantisches Bild – eine merkwürdige, sich bewegende Metapher deutscher Geschichte. Fragen über die Zufälligkeit dieses Geschehens durchquerten subtil die fragilen Membrane meiner Gehirnzellen und trafen auf tiefer gelagerte Gedanken: die Bezeichnungsherkunft dieser Buslinie der Nachwendezeit beschäftigt immer wieder flüchtig meine Gedanken, oft nur einige Sekunden, dann verschwindet sie wieder ohne Spuren zu hinterlassen: keine Zeit, um eine tiefgehende Recherche anzugehen... keine Antwort.

(...)

Die Filmprojektion ist inhaltlich und räumlich als zentraler Kern der Ausstellung zu betrachten, erklärte J. S.. Die Dramaturgie der Ausstellung, der narrative Faden erstreckt sich jedoch über alle weiteren Räume der Galerie: wie Satelliten umkreisen die zusätzlich ausgestellten medialen Dokumente den zentralen Licht- und Projektionspunkt und werden von seiner Ausstrahlung und Fiktionalität beleuchtet. Die Satelliten bestehen aus gefundenen Foto- und Videomaterialien, von der Künstlerin aus den Stasiarchiven übernommen, angeeignet und als „ready mades“ präsentiert. (...) Die Studierenden schauten etwas verwundert, (...) bis sich eine Stimme, etwas lauter, Gehör verschaffte und den verwirrten Blicken der Anderen eine verständliche Sprache gab. Es ist allgemein bekannt, dass es sehr schwierig ist, an Archiv-Material des damaligen Ministeriums für Staatsicherheit zu kommen und dass nur mit der Einverständniserklärung der jeweiligen Person solche Bilder veröffentlicht werden können. Die von der BStU-Behörde verwaltete Hinterlassenschaft des MfS, besonders die Ausgabe von Foto- bzw. Filmmaterial aus den Bergen der gespeicherten Bilder wird streng gehandhabt, der Schutz der Persönlichkeitsrechte steht oft im Vordergrund, so dass nur die Betroffenen oder Wissenschaftler, die ausweislich in diesem Gebiet recherchieren, oft nach wiederholten und komplizierten schriftlichen Anträgen Zugang zu diesen Akten haben können. Wie konnte der Künstlerin solches Material für die Herstellung von „ready mades“  ausgehändigt werden, fragte die Stimme. Um sogar eine ganze Ausstellung damit zu bestücken, dachte ich nickend... (...)

 

Im folgenden Raum stießen wir auf vier von der Decke hängende Videoprojektiosflächen, die den Raum schräg in zwei Hälften schneiden. Wie in einer Sequenz hintereinander aufgebaut und nach ähnlichen Prinzipien bearbeitet, zeigen die hier projizierten Videobilder Menschen, die in sehr unterschiedlichen Situationen aufgenommen wurden: draußen auf der Straße oder in privaten Innenräumen, in urbanen Stadtumgebungen oder auf einsamen Feldwegen... Sehr unterschiedliche Atmosphären und Handlungen, die aufeinander abgestimmt sind und eine Krimi-Dramaturgie zu verfolgen scheinen: Nachtaufnahmen, fahrende Autos. Ein Paar begegnet sich... Die schlechte Qualität der Aufnahmen verrät ihre Herkunft. Eine beklemmende Stimmung entsteht in der flatternden Dämmerung des Ausstellungsraums, der Betrachter wird eindeutig in die Position des Voyeurs gedrängt, in die Position desjenigen, der diese Bilder heimlich vorher produziert und im Nachhinein bewertet. Der Ausstellungsbesucher wird Zeuge und zugleich Mittäter, Komplize eines Systems, eines historischen Verlaufs, der diese Aufnahmen aus der damaligen Produktionsmaschinerie in die heutige Kunstkontextnutzung spuckt. Der Eindruck einer „illegalen,“ „unmoralischen“ Teilnahme lauert zwischen uns: Wir schauen auf das „geheime“ Bildmaterial, wir beobachten Menschen, die vielleicht etwas Verbotenes getan haben. Gestohlene Bilder wurden ein weiteres Mal entwendet, für den Kunstkontext zubereitet und in einem „white cube“ präsentiert. (...). Jemand bat J. S., die Aneignungsstrategien der Künstlerin genauer darzulegen. Auch die Frage nach der Herkunft der Bilder kam wieder über die Lippen der Studierenden: woher kommen sie ursprünglich, wer sind die Menschen hinter der Kamera und noch wichtiger, wer sind die beobachteten, observierten Personen, die Opfer des totalitären Systems. Was ist aus diesen Menschen geworden? Erschreckend die Vorstellung, dass einige von ihnen schon gestorben sein könnten. Vielleicht durch Fluchtversuche entkommen. Man kennt nur die Geschichten, die Storys der bekannteren Fälle, aber was ist mit den Anderen: gescheitert am politischen System, an den Folgen der Verfolgung, am Altern. Haben sie Arbeit, sind sie noch lebendig? Oder haben sie sich, wie sich aller Wahrscheinlichkeit nach vermuten lässt, in „normale“ Bürger unserer Konsumgesellschaft verwandeln können? Die Frage nach den Schicksalen dieser Menschen interessierte mich brennend. Dieser winzige beiläufige Ausschnitt aus ihrer Vergangenheit, der mir in Form von bewegten Bildern in dieser Ausstellung angeboten wurde, bewegte mich. Was ist aus dem „laufenden Paar“ geworden? Haben sie sich geliebt? Waren sie nur Freunde? Haben sie gelitten? Und die Frau, die einsam auf der Straße, wie in einer Wintertraumlandschaft läuft, wohin geht sie , woher kommt sie? Warum war das menschliche Gehen – eine Tätigkeit, die Milliarden Menschen in verschiedenen Teilen der Erde unentwegt ausführen – für die Stasi speicherungswert? Und was ist passiert, nachdem die Kamera ausgeschaltet wurde?

(...)

Danach betraten wir einen Licht durchfluteten Raum, in dem einige Gruppen von schwarz/weiß Fotos an den Wänden in Augenhöhe hängen. (...)

Meine Aufmerksamkeit wurde auf eine Reihe von Bildern gelenkt, die auf der rechten Wand hängen, es handelt sich um Portraits bzw. um Gruppenfotos im Freien. Aus den Fotos kommt eine Stimmung von heiterem Miteinandersein, Kommunikationsmomenten, vielleicht Freude... Es handelt sich hierbei fast nur um junge Menschen, um junge Frauen. Die Körper sind nackt, sie sind nah beieinander, umrahmt von Pflanzen und Körben: ein Ausflug, dachte  ich. Auch bei diesen Bildern ist die Anonymisierungsarbeit gründlich durchgeführt worden, brav und ordnungsgemäß erledigt. Ich konnte mir die Hände vorstellen, wie sie die Augen der jungen Frauen sorgfältig mit kleinen viereckigen, schwarzen Schleiern bedecken... eine Umkehrung des Tschador-Prinzips, eine Umkehrung der üblichen Zensurarbeit: nicht nackte Körperteile sind verdeckt worden, sondern die Augen; verwunderlicher Weise  waren die schwarzen Streifen von den erogenen Regionen des Körpers gen Gesicht emigriert: erstaunt assoziierte mein Verstand diese Form der Zensur an den schwarzen Rechtecken, die bei Pornobildern die primären Geschlechtsteile bedecken...

(...) Der „Autor“ oder die „Autorin“ des aktuellen Eingriffs schien  ein konzeptuelles Prinzip verfolgt zu haben. Nebeneinander aufgereiht bekommen die kurzen, schwarzen Streifen einen dekorativen Charakter. Ich fragte mich, ob diese Intervention, ob die Balkenwanderung von der Künstlerin oder von der Behörde in Gang gesetzt worden ist. (...) Der Titel der Bilder „Women, naturist meeting, end of the seventies“ gibt eine sehr allgemeine Information über sie.

(...)

Die Transparenz der Glaswand ließ den Blick weiter in die Eingangshalle wandern, ein freundliches Wiedersehen milderte das Unbehagen, das die Ausstellungsbesichtigung in unserer psychischen Verfassung als Spur hinterlassen hatte. Die Frau am Rezeptionstisch schaute wieder in unsere Richtung, lächelte und schrieb dann weiter, immer noch... immer wieder... die Zeit schien still zu stehen in dem Raum, gemischt mit der Luft und dem Licht, die zu uns durch die Tür der Galerie die Außenwelt mitbrachte. Im Hintergrund hörte ich noch die Worte von J. S., die mich zwangen, mich wie Orpheus im Reich der Toten umzudrehen. Hinter mir sprach sie noch mit den Studierenden. In der Zwischenzeit hatte  sich die Gruppe zu einer anderen Arbeit bewegt, die Studierenden betrachteten einen  auf die Wand projizierten Text. Dieser Text verändert sich, Worte werden weiter geschrieben... J. S. erklärte uns, dass dieser Text entsteht, sozusagen in „real time“. Fiktion und Wirklichkeit fallen in diesem Moment zusammen und fliehen von mir weg, wie Eurydike, mein Spiegelbild...

Etwas schockiert merkten wir, dass die Worte, die sich auf die Wand schreiben, die Be-Schreibung unserer Kleider, unserer Körper und unserer Aktionen ist... Wir merkten, dass wir unbewusster, „beobachteter“ Teil einer Theater-Performance geworden sind: „Instant Narrative“ heißt die Arbeit, erzählte J. S. Die Künstlerin hat eine Autorin engagiert, die an der Rezeption sitzt und alles, was am Museumseingang passiert, schreibend beschreibt, eine Überwachungsform, die auch die Stasi praktiziert hat. Die Texte wirken poetisch, die Künstlerin wird die Texte sammeln und später bearbeiten... Verblüfft und nackt fühlte ich mich nach dieser Entdeckung – das Gefühl, die Künstlerin sei etwas zu weit gegangen; der Eindruck, sie hätte mit uns Stasi gespielt... Unentschlossen, ob ich die Ausstellung großartig oder unmöglich finde; positiv und gleichzeitig negativ beeindruckt, nahm ich mit Dankbarkeit mein Unbehagen und das Buch über die Ausstellung mit, dass mir J. S. als Geschenk überreichte. Darauf ein Bild einer jungen Frau, nackt – gute Verkaufspolitik – dachte ich: ein „Cover Girl“....

 

Installation: 1 Text, 4 Zeichnungen, Regal, 15 Ordner

Größe: 151 x 133,5 x 32 cm

 


 

hauptprojekt

FaLang translation system by Faboba