SonnabendSpaziergang:Maskenpflicht!
Führung: Tom Schremmer

16:00Treffpunkt: Lene Voigt Park wiederholung unseres roten fadens.
eigentlich soll ich impulse setzen, um euch durch die kunst zu führen, doch mir scheint ein großteil der heutigen arbeiten sehr intim und sehr still zu sein.
nachdem wir am donnerstag die innenstadt bestaunt haben und gestern nachdenklich mit hilfe der kunst versucht haben sinnlich und körperlich zu reflektieren, geschieht heute wohl was ganz anderes. gestern sagten wir: nicht ich denke also bin ich, sondern ich handle also bin ich. im kollektiven. dem gegenseitigen geschichtenerzählen.
heute tauchen wir ein in die wirklichkeiten der verschiedenen artists. weg vom kollektiven, hin zum individuellen. die persönliche perspektive. sieh, mein projekt, das bin ich.
gestern noch haben wir darüber gesprochen, dass sprache nicht genügt um kollektive tätigkeit zu ersetzen. am tag davor haben wir überlegt, dass sprache nicht genügt um fragilität ausreichend zu formen.
Peter Weiss spricht von der tiefe in der kunst, den unendlich vielen punkten, die man betrachten kann und die sprache nicht kennt. wir tauchen also in diese WIRKLICHKEITEN ein. wir haben bereits gelernt, was fragilität ist, wir kennen die zusammenhänge der kunst, unseren roten faden. heute geht es darum unser wissen mitzunehmen und in die wirklichkeiten zu tragen. passenderweise werden doch mehrere artists ihre projekte persönlich vorstellen. wenn alles klappt. wir kehren also der politischen philosophie den rücken. wir wenden uns eher einem Sartre zu. dieser sucht den freiheitsbegriff im individuum, der sinn des lebens beginnt im konzept der freiheit, einer jeden person. meine existenz zeigt meinem gegenüber, dass freiheit existieren kann. freiheit ist kein kollektives konzept, sondern super individuell durch gemeinschaft. ihr gefühl ist die angst, weil freiheit auch fragilität ausstrahlt. genau das macht es der politik so schwer.
die andere meinung ist die freiheit. in einer zeit in der wir unsere WIRKLICHKEITEN öffentlich machen wird sie verzerrt. virtual reality. instagram. unser online-showroom muss auch auf der straße das widerspiegeln, was wir vorgeben zu sein.
aber ist das dann noch WIRKLICHKEIT? oder gar freiheit?
freiheit… oder wirklichkeit!
wir machen uns auf die suche nach perspektiven. nach aussagen. das kam in den letzten touren vielleicht etwas zu kurz. wir lassen uns nicht mehr leiten von einem online-algorithmus.
Stay positive - donT get positive. distanzberührung im hoffentlichen raum 16:00Lene Voigt Park
Caro Otto
VITISOP
warum der Lene-Voigt-park? da der raum immer mehr an öffentlicher bedeutung gewonnen hat, und auch andere knoten sozialen lebens wegfielen, blieben den menschen nur noch parks oder supermärkte. (übrigens interessant, dass supermärkte oder gesellschaftsspiele in der ganzen ausstellung kaum eine rolle spielen)
der LVP ist für die künstlerin während der corona zeit „the place to be“ geworden. wenn es ihr nach menschen zu mute war, also wenn sie menschen um sich herum sehen wollte, um bekannten menschen ungeplant zu begegnen und ein bisschen „DistanzBerührung“ gepaart mit inspiration zu erfahren. sie hat dort ihre oft mantra-artigen flanier-runden gemacht.
die bedeutung des wortes "positiv". überall ist das wort positiv zu hören.
ist der test positiv? bleibst du "seelisch" positiv? auch der leichte druck durch die gesellschaft, dass man positiv denkend bleiben soll und bloß nicht positiv getestet… warum darf man nicht mal negativ sein? Das Posititve beinhaltet auch immer das Negative. daher die mantra-artige wiederholung- um durch die positiv-inflation das negative sichtbar zu machen. gleichzeitig ist es trotzdem ein weckruf zum positiv-denkend und hoffnungsvoll- bleiben
witzigerweise habe ich die künstlerin keine 50 m von hier im Lene-Voigt-park kennen gelernt.
16:35Th.-Neubauer-Str. 52
Verónica García
1 KM
eine videoprojektion, die in der nacht auf die fenster der wohnung der künstlerin, projiziert wird.
eine serie von video-loops mit blumen, die die künstlerin im frühjahr 2020 in den straßen, parks und gärten ihrer nachbarschaft entdeckt hat. durch die schließung von geschäften und arbeitsplätzen, ohne freund*innen und familie, haben spaziergänge eine neue bedeutung bekommen.
so die Künstlerin: „Diese Sammlung von Bildern erinnert an die Schaffung eines Mikrokosmos, in dem man sich vorübergehend aufhält - entweder weil die Quarantäne vorbei is oder weil die Blumen am Ende ihres Frühlingszyklus verwelken.“
zu dieser urzeit ist es zu hell
man kann die projektion nicht sehen
die künstlerin zeigt uns stattdessen die Pflanzen und ihre nachbarschaft durch einen pflanzenspaziergang im sommer in erinnerung an den frühling
fotografien.
die fotografien sind zeitzeichen eines persönlichen prozesses während des shutdowns.
in der Arbeit17:30Anderer Kunstverein e.V.
Helga Hagen
FRÜHLING2020 – 1-8
zeigen sie ein objekt. das symbol der krise = die maske. allgegenwärtigkeit, in allen WIKRLICHKEITEN die beiden portraits, die sie zeigt, sind ihr sehr nahestehende familienmitglieder. für viele menschen ist das “SICH-NICHT-BERÜHREN” brutaler gewesen als die krankheit selbst. maske ist eigentlich lateinischen ursprungs: es meinte etwas schwarzes bzw. einen dämon.
also etwas böses, dunkles, dämonisches.
was unser gesicht verdunkelt, es bedeckt, es verschwinden lässt.
seine bisherige bedeutung ist eigentlich nicht teil eines hygienekonzeptes, sondern vielmehr als teil etwas zu entfernendes, etwas fremdes. man könnte fast sagen, masken sind etwas widernatürliches.
die produktion der masken interessiert uns eigentlich auch nicht, oder doch?
die künstler*innen der Arbeit18:00Brachfläche
Laura Därr & Lennard Bernd Becker
TELL US SOMETHING WE DON`T KNOW.
wünschen sich die folgenden fragen, als präambel:
"welche intimsten gedanken waren in den
letzten monaten besonders präsent?" oder "etwas was ihr nie besprechen würdet. das etwas, welches so geheim ist, dass ihr es nicht aussprechen könnt. was ist dieses etwas für euch?" und "wie weit geht für euch der begriff und das gefühl vertrauen?" das konzept des vertrauens wirft die frage auf: gibt es ein urvertrauen?
ihre arbeit basiert auf der vertrauensfrage, auf
behauptung und illusion und der frage nach dem was bleibt.
einfach gesprochen: sie forderten ihre klassenkommiliton*innen
auf ihre intimsten dinge oder gedanken auf eine metallplatte zu gravieren, völlig anonym. diese metallträger, mit ihren eingravierten intimen fragmenten, wurden in einen briefumschlag gesteckt und versiegelt. diese umschläge wurden in einer metallkiste gesammelt. das prozedere besaß die atmosphäre einer wahlsituation. die kiste wurde abgeschlossen, endgültig verschweißt und an benannten ort vergraben.
zum erhalten über die jahrhunderte wurde extra auf den online gebrauch verzichtet. das internet vergisst nichts, sagt man, aber erhält es auch alles? gibt es etwas wie vertrauen im internet? wenn es laut Martin Hartmann ein urvertrauen, primitives vertrauen und ein weltvertrauen gibt? ja? es stellt sich also die existenzielle frage, ob corona unser vertrauen beschädigt hat.
dem internet vertrauen wir nicht. warum? gibt es hier einfach noch keine richtigen (vertrauens)absprachen? nach wie vor scheint es ein rechtsfreier raum zu sein.
und doch läuft und lief ein großteil unserer existenz online ab. was macht das mit unserer wirklichkeit und dem vertrauen in unserer gesellschaft?
die beiden künstler*innen treten dagegen an. in einer eingeschweißten bleibox verwahren sie sicher die intimen details ihrer kommiliton*innen. sie vertrauen sich, als individuen. sie sichern in wackeligen zeiten. eine “time capsule” in einer zeit, die zu schweben scheint.
kann es überhaupt eine natürlichkeit im digitalen geben? sätze wie "we grow our followers naturally" sind doch eigentlich ein ausgestreckter stinkefinger zu all dem was wir die letzten tage zur lage der natur und des menschen gesagt haben.
wissenschaft ist wahrheit, gefühle nicht? das ist vielleicht eine lehre die wir mitnehmen sollen aus den letzten 5 jahren debatte die seit der ankunft der ersten syrischen flüchtlinge in deutschland wieder öffentlich wurde. seit jahren war sie da, doch nun erst tritt sie zu tage. und wieder einmal kommen wir an den punkt zu fragen, was ist eigentlich erkenntnis? wahrheit oder freiheit? 18:35Helga Hagen & Caro OttoDas Japanische Haus e. V.
C-ECHO
C-Echo ist eine audioinstallation die aus einer sammlung von wörtern zur coronakrise entstanden ist und sich daraus weiterentwickelt hat:
ein phänomen der Corona-krise ist das konfuse der stimmen. menschen sind verwirrt, was sie glauben sollen, menschen ändern je nach nachrichtenlage ihre meinung,
wahrheiten sind an die wissenschaft gebunden, alternative gedankenmodelle sind verschwörungen. die gesellschaft teilt sich in lager, alle sind betroffen, viele teilen ihre gefühle und gedanken dazu. ist das nicht diese freiheit?
die künstlerin Caro Otto zeigte bereits ihr band mit der aufschrift “positiv”. ich habe euch allen bis hierher die frage nach erkenntnis gestellt. gerade ist die antwort unfassbar positivistisch: es geht um empirische zahlen: wenn sie eine grenze übersteigen, hat das enorme juristische und auch politische konsequenzen. freiheitliche. wir leben in einer art positivismus-regime. ist diese ausstellung ein akt der rebellion? kunst als widerstand? (Peter Weiss?) oder doch ein rückeroberung der öffentlichkeit, wie uns die Leipziger Volkszeitung gestern tituliert? oder ist es ein in-sich-kehren, weil das vertrauen hin ist. verloren, verspekuliert auf dem jahrmarkt des internets?
der heutige rundgang war anwendung all dessen was wir die letzten beiden tage besprochen haben.
wir sind drei tage am stück spazieren gegangen: wir haben reflektiert und beobachtet.
fragilität und agilität aufgearbeitet. fragilität als prozess von angst und macht gesehen der sich agil durch demonstrationen ausdrückt.
wir haben Hobbes' Leviathan und Latours Gaia aufeinander losgehen lassen. wir haben auf den spuren der Leipziger montagsspaziergänge die aufkommende Black Lives Matter bewegung zwischen schwarzem engel und gedenkstein für Kamal K. erlebt.
wir haben uns tätigkeit als kollektiven prozess angeschaut. wir habe entscheidungen im schleier des nichtwissens getroffen, indem wir durch das portal des nicht-vergessens gegangen sind. und wir haben am ende festgestellt, dass wir in der schwebe sind. das klima kippt, der gesellschaftliche zusammenhalt kippt, das gesundheitswesen kippt (nicht erst seit Corona). unsere gefühle wackeln, unsere sprache wackelt. das floß wackelt. wir können doch nicht auf den nächsten weltkrieg warten, der die gesellschaft wieder vereint. auch das haben wir gesehen. haben uns treiben lassen im fluss der zeit.
wir sind in wirklichkeiten eingetaucht und haben feststellen müssen, dass sogar der begriff des positiven wieder positiv besetzt werden muss. vollkommen überhört. wenn irgendetwas sichtbarer denn je durch corona geworden ist, dann, dass das vertrauen fehlt. darauf haben die utopisten und weltverbesser, moralisten und die ultra-korrekten - ja der liberalismus an sich noch keine antwort gefunden, woher kann ein kollektiv vertrauen nehmen?
all die arbeit, herstellen, handeln. all die mauern und grenzen, all die ängste sollten doch vertrauen erzeugen, aber sie tun es nicht. aber zumindest steht die frage am ende dieser drei tage im raum: wie stark hängen sie zusammen, FREIHEIT und VERTRAUEN?


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