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Portrait 8

 

Vor der Fotoaufnahme gab es in mir eine gewisse Unruhe. Die Vorbereitungen für dieses Ereignis, von dem ich den Prozess kenne und dessen Folgen ich erahnen kann, schwebten in einer gespannten Atmosphäre. Sich vor diese magische Schachtel zu setzen, vor das Objekt, das die Macht hat, dich in ein objektiviertes Bild auf einer Fläche zu verwandeln, stellt für mich eine Art Gabe dar. Auch wenn Video, Film und Fotografie sich der gleichen Vorrichtungen bedienen, um das Licht innerhalb des Aufnahmemechanismus einzufangen, verhalten sie sich in einer sehr unterschiedlichen Weise, was das Thema der Zeit und der Bild-Kontrolle angeht. Im traditionellen fotografischen Ablauf gibt es immer eine gewisse Zeit-Spanne zwischen dem mechanischen Zuschnappen, das die Aufnahme bestimmt und dem Augenblick, in dem man mit dem Ergebnis konfrontiert wird. Mich vor das Objektiv zu stellen, nachdem ich für so lange Zeit dahinter gewesen bin, mich auf der anderen Seite der Barrikade zu befinden mit dem Bewußtsein über den Prozess der Materialisierung des Bildes, der innerhalb der Maschine vorging, hat in mir ein Befangenheits- und gleichzeitig ein Erwartungsgefühl hervorgebracht: Wie wird mein zweidimensionaler Ersatz werden? Die Position um 180° gedreht, vom agierenden Subjekt zum Reproduktionsobjekt, hat in mir einen intimen Widerstand generiert. Der Foto-Apparat erlaubte keine Selbstbeobachtung. Dadurch konnte ich in dieser Situation das Bild nicht kontrollieren, so wie ich es mit Video gewohnt war. Ich habe mich irgendwie entwaffnet gefühlt. Insbesondere der Einsatz der Platten-Kamera bei natürlichem Licht und einer entsprechend langen Belichtungs- und Posezeit, hat das Bewusstsein für das Ereignis erhöht. Die Bewegungslosigkeit, zu der ich gezwungen war vor dem unbeirrbaren Glasauge, hat mich gezwungen, einen Gleichgewichtspunkt zu finden, in meinen Körper hinein zu gehen und ihn von innen zu spüren. Es war ein seltsamer Eindruck, den eigenen Körper zu fühlen und sich dabei vorzustellen, wie jede minimale Bewegung eines Muskels in dem Endbild eine andere Komposition verursachen würde, wie sich alle Teile meines Körpers ordneten, um sich in ein Bild zu transformieren. Auch die Zusammensetzung der Kleider ist nicht dem Zufall überlassen gewesen. Es gab etwas Besonderes in diesem Aufstellen der Realität, der Bildwerdung meiner selbst, sich in einer ästhetisch bedeutenden Form zu komponieren. Der Kasten vor meinen Augen hatte etwas Unaktuelles, wie ein Spielzeug oder ein Messinstrument aus anderen Zeiten. Das dunkle Tuch auf dem Kopf von Tina hat die Maschine mit dem schwarz umkleideten Frauenkörper vereint, als ob vor meinen Augen ein amorphes, halblebendiges Wesen wäre, das gleichzeitig etwas Bedrohliches und Sinnliches hatte. Der Frauen-Maschinenkörper war wie ein Schatten im Gegenlicht der familiären Wände mei- ner Wohnung. Der mechanische Kasten generierte Geräusche, die mich an eine Zeitmessung denken ließen, wie Relaismechanismen. Das Zuschnappen der Vorrichtung, die entschied, wie eine bestimmte Lichtmenge in einer bestimmten Zeit eine Darstellung meiner selbst werden sollte, erinnerte mich an den Klang der Guillotine. Die Fotografie ist ein Schnitt im Fluß des Werdens, und das fotografische Portrait ein Zeitquerschnitt, der das, was sonst nur eine Veränderung von Formen in der Zeit ist, in eine andere Materie kristallisiert. Die scheinbare Übereinstimmung zwischen dem Bild und dem temporären Zusammensein aus Materie, Aktionen, Gedanken und Zeichen, das wir Ich nennen, bildet für eine mehr oder weniger lange Zeit ein Fundament unseres Daseins. Der Glauben, unsere Identität und die der anderen zu kennen, wäre ohne die sogenannte Objektivität des Bildes unmöglich. Durch die Verdinglichung des Ich in sein eigenes Bild wird man selbst Information, Kommunikationsmittel, von den anderen auch während der eigenen Abwesenheit wahrnehmbar. Durch die Darstellung können wir gemütlich das Ich, von dem sonst nicht einmal das Gesicht gesehen werden kann, definieren und von den vielen Du unterscheiden. In dem seltsamen Mechanismus unseres Körpers ist das Organ, das für die Funktion des Sehens zuständig ist, so programmiert, daß es sich selbst nicht sehen kann. Ohne von irgendeiner reflektierenden Fläche dupliziert zu sein, würde das Außen unseres Körpers für uns fremd bleiben. Im Alltag ist der Körper für die meisten unserer Aktionen nicht Teil unseres Sichtfeldes, von ihm haben wir nur eine deformierte Sicht von Händen, Armen, Brust, Bauch, Beinen und Füßen. Vom Gesicht sehen wir nur einige unscharfe Ränder von Nase, Mund und Wangen; der hintere Teil unseres Kopfes ist uns unbekannt wie die dunkle Seite des Mondes. In einer Art Duell/Dialog verschluckte das mechanische Spielzeug weiter in der Zeit getrennte Scheiben von Bild-Kompositionen, die ich mit meinem Körper und meinem Blick produzierte, indem ich, in den verschiedenen Aufnahmen mehr oder weniger bewußt, andere Segmente meiner selbst durchschauen ließ. Jede Aufnahme war das Ergebnis einer Gegenüberstellung, in der sich der Filter meines Bewußtseins für andere Mischungen der unterschiedlichen Seiten meiner Art zu sein entschied, alle bedeckt mit einem Belag der Distanz. Mein Gemütszustand veränderte sich in meinem Körper durch die verschiedenen Zusammensetzungen aus unterschiedlichen Gleichgewichtsspielen von Sich-Zeigen und Sich-Verstecken. Ich kannte schon die anderen Portraits von Tina aus der Serie „Plot-Point" und wußte, auf welches Risiko ich mich eingelassen hatte. Wenn ich die Fotos aus diesem Projekt anschaue, wundert es mich, zu entdecken, welche Vielfalt von verschiedenen Individualitäten da ist. Gleichzeitig erscheinen mir die Frauen in dieser Portraitsserie wie in ihrem Körper gefangen, oder vielleicht sind sie nur in dem Rahmen der Foto-Aufnahme gefangen. Von den Bilder kommt ein Eindruck von Verdichtung, aber nichts ist dramatisch. Alles scheint erstarrt in der Zeit, während das Objektiv auf das Zentrum des Körpers zielt. Die Köpfe, die normalerweise in Portraits der Schlüssel-Punkt der Komposition sind, da sie sich am besten eignen, um eine Individualität zu differenzieren und zu erkennen, spielen in diesen Fotos eine sekundäre Rolle. Sie sind an die oberen Ränder des Bildes ge- schoben, an die Grenzen gedrückt. Die Körper, fast alle an der unteren Seite des Bildes unter dem Schambein angeschnitten, scheinen noch klarer eine Unmöglichkeit der Bewegung, eine Starrheit der Pose, einen Schnitt in der Zeit andeuten zu wollen.

 

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